Thüringer baut Schloss Hummelshain aus Ankersteinen

Werner Bickel aus Wurzbach baut in akribischer Feinarbeit das Jagdschloss mit Original-Teilen und selbst gegossenen Ziersteinen nach. Ein kleines Meisterwerk entsteht.

 

Wurzbach. Als Werner Bickel im Alter von zehn Jahren im Schaufenster eines Kranichfelder Spielwarenladens erstmals Ankerbausteine sieht, drückt er sich die Nase platt.

 

Dort steht im Kleinformat das örtliche Oberschloss. Er würde gern selbst solche Spielsteine besitzen, doch diesen Wunsch können die Eltern nicht erfüllen. Die Bausteine sind viel zu teuer. Als 1963 die Ankerstein-Produktion auf Betreiben der DDR-Führung eingestellt wird, schmelzen alle Hoffnungen dahin, je selbst einen Baukasten sein Eigen nennen zu können.

 

Doch es kommt anders: „1995 habe ich in der OTZ gelesen, dass die Produktion in Rudolstadt wieder aufgenommen wird“, sagt Werner Bickel. Mittlerweile besitzt der ehemalige Polizeibeamte aus Wurzbach (Saale-Orla-Kreis) etwa 25.000 Ankerbausteine und hat diverse Baudenkmäler damit nachgebaut, etwa Luthers Geburtshaus in Eisleben und das Hafenamt in Stralsund oder das Landgut des US-Präsidenten Thomas Jefferson, Monticello.

 

Sein aktuelles und zugleich aufwendigstes Projekt ist Schloss Hummelshain. Seit November arbeitet Werner Bickel daran. Bis jetzt stehen Erdgeschoss und große Teile der ersten Etage. Allein dafür hat er 3000 Steine verbaut – Anker-Teile, aber auch eigens gegossene Bausteine.

3D-Drucker eröffnet neue Möglichkeiten

Seit der 64-Jährige einen 3D-Drucker besitzt, kann er unglaublich präzise die Schmuckelemente der Fassaden, Fenster und Türen nachempfinden. Mit dem Drucker schafft er die Urformen der Schmucksteine, die er in einem zweiten Schritt mit Silikon abformt. Danach befüllt er die entstandenen Gussformen mit sogenanntem Keramin, das nach dem Festwerden den Ankersteinen in Farbe und Materialität sehr ähnelt.

 

Um überhaupt so genau arbeiten zu können, greift Werner Bickel auf die Baupläne von Schloss Hummelshain zurück. Der Freundeskreis unter Vorsitz von Rainer Hohberg hat sie ihm zur Verfügung gestellt.

 

Der Wurzbacher würde sich gern erkenntlich zeigen und seinen Miniatur-Nachbau, wenn er fertig ist, als festes Schaumodell dem Verein überlassen. Doch das ist eine Frage des Geldes. Die hochwertigen Ankersteine haben nach wie vor ihren Preis. In der Regel würde der Ostthüringer deshalb nach Vollendung das Gebäude wieder abbauen.

 

Um diesmal ein bleibendes Modell zu schaffen, erhofft sich Werner Bickel Unterstützung. „Ich würde mir hier Hilfe von der Arbeiterwohlfahrt wünschen“, sagt er. Die AWO Rudolstadt hat 2017 die Ankerstein-Produktion übernommen und sie damit vor der Schließung bewahrt.

 

Aber bevor sich der Modellbauer um die Finanzierung kümmert, steht der Bau erst einmal im Vordergrund. „In diesem Jahr werde ich wohl nicht mehr fertig“, schätzt er. Dabei ist er beinah täglich in seinem Hobbyraum unter dem Dach zugange. Wenn seine Frau morgens halb sechs zur Arbeit geht, steigt er nach oben. Wenn sie nachmittags heim kommt, wird gemeinsam Kaffee getrunken und danach baut Werner Bickel meist noch bis halb sieben weiter.

 

Der Wurzbacher ist jedoch nicht der Erste, der sich an Schloss Hummelshain versucht. Bereits zu DDR-Zeiten hatten zwei Holländer mit Erlaubnis der Behörden die Residenz im Detail fotografiert. Die beiden kannten das als Jugendwerkhof genutzte Jagdschloss vermutlich von den jährlichen Ankerfreunde-Treffen, die auch nach Produktionsstopp in Rudolstadt stattfanden.

 

Es sollte jedoch noch bis Winter 2001/2002 dauern, bis Leo Coffeng tatsächlich das Gebäude en miniature nachbaute. Kurioserweise waren es ebenfalls Holländer, die den internationalen Club der Ankerfreunde ins Leben riefen. Heute gehören ihm Mitglieder unter anderem aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Ungarn und den USA an. Auch Werner Bickel ist längst Mitglied.

 

Sein Hummelshain-Nachbau wird im Übrigen dank 3D-Druck detaillierter und historisch authentischer ausfallen als Leo Coffengs Modell. Zudem hat ihm Fördervereinschef Rainer Hohberg alte Fotos überlassen, die das Schloss zeigen, bevor der Jugendwerkhof einst einzog. Damals zierten den Bau noch diverse Amphoren, Deckelvasen, Kugeln sowie ein Obelisk. Um die Schmuckelemente vor Beschädigung zu schützen, sollen sie im Schlosspark vergraben worden sein. Wo genau, weiß man nicht. Doch das ist eine andere Geschichte, der sich der rührige Förderverein wohl in Zukunft einmal annehmen wird.

 

Zur Sache: Die wechselvolle Geschichte von Ankerstein

  • Die Luftfahrtpioniere Otto und Gustav Lilienthal entwickeln 1875 eine Rezeptur für Mineralbausteine. Sie bestehen aus einer Mischung von Quarzsand, Kalk und Leinölfirnis.
  • Der Rudolstädter Unternehmer Friedrich Adolf Richter kauft den Brüdern Lilienthal das Baustein-Rezept ab und bringt „Richters Anker-Steinbaukästen“ auf den Markt. Obendrein beschäftigt er Künstler, Illustratoren und Architekten, die Bauvorlagen für Baukästen erstellen und erschafft das erste Systemspielzeug der Welt.
  • 1887 wird zum 10-jährigen Pontifikat von Papst Leo XIII. der erste Anker-Spezialkasten herausgebracht: ein maßstabgetreues Modell des Geburtshauses des Papstes.
  • Als Richter 1910 stirbt, hinterlässt er ein erfolgreiches Unternehmen mit Niederlassungen in ganz Europa und den USA.
  • Die Firma in Rudolstadt wird nach dem Zweiten Weltkrieg in einen volkseigenen Betrieb umgewandelt, der jedoch 1963 die Produktion einstellen muss.
  • Der Berliner Akustikprofessor und Anker-Liebhaber Georg Plenge startet das Projekt zur Anker-Renaissance. Unterstützt von Mitteln der EU und des Landes Thüringen wird 1995 die Produktion unter Verwendung noch vorhandener Vorlagen wieder aufgenommen.
  • 2009 sichern Gerhard Gollnest & Fritz-Rüdiger Kiesel, die unter anderem die Spielzeugmarke Goki verantworten, durch Übernahme die weitere Existenz der Anker-Steinbaukasten GmbH.
  • 2017 erfolgte die Übernahme durch die Arbeiterwohlfahrt Rudolstadt.
  • Mehr Infos zur Ankerstein GmbH im Internet: www.ankerstein.de

 

Quelle: Ulrike Merkel / 16.06.18

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