Tam Nguyen Thi pflegt die Alten von Königsee



Wenn sich Tam Nguyen Thi um die alten Menschen im Awo-Pfegehe in der Dr.-Dinkler-Allee kümmert, ist es, als würde die Sonne scheinen. Foto: Henry Trefz

Wie eine junge Vietnamesin als erste examinierte Altenpflegerin für Furore in Thüringen sorgt.

 

Königsee. Auf den ersten Blick deutet nichts in der Dr.-Dinkler-Allee in Königsee darauf hin, dass dieses Pflegeheim in Hausnummer 6 eine Besonderheit enthält. Der moderne, 2003 eingeweihte Bau setzt der unwillig graubraunen Natur draußen seine Glas- und Metallfassaden entgegen. Die Sonne ist an diesem Morgen drinnen zu finden. Und wenn es nach Leiterin Steffi Schrimpf und ihrer Stellvertreterin Karina Mühmer geht, dann soll dies noch viele Jahre lang so bleiben.

Die Sonne heißt Tam Nguyen Thi und das ist ihre Geschichte: Pflegenotstand – das ist nicht nur ein Wort für einen Mangel wie er auch für zu wenig Papierkörbe im Land stehen könnte. Dieser Notstand trifft mitten in das zentrale Thema Mitmenschlichkeit. Die Wege, ihn zu mildern können also gar nicht kreativ genug sein. Einer lautete, in Vietnam jungen Menschen die Perspektive anzubieten, in Deutschland Altenpfleger zu werden.

 

Als Tam mit Anfang 20 zuhause von dieser Idee hörte, hatte sie gerade eine universitäre Ausbildung zur Buchhalterin begonnen, wohl wissend, dass sehr wenige Jobs auf sehr viele junge Leute warten. An der Uni gab es einen Aushang, der das Angebot der Euro-Akademie Pößneck offerierte, in Deutschland nach einer Ausbildung als Altenpflegerin zu arbeiten.

„Meine Eltern hätten mich wohl nicht gelassen, wenn nicht seit dreißig Jahren meine Tante hier in Thüringen leben und arbeiten würde“, sagt Tam. Also sagte sie ja und kam im November 2015 in Thüringen an. Und lernte in wenigen Monaten Deutsch bis zum Niveau B1 (das bedeutet selbstständige Sprachverwendung). Im März 2016 begann die Ausbildung zur Pflegefachkraft parallel zur fachsprachlichen Vertiefung.

Und als Tam während der Ausbildung ihren späteren Freund und Landsmann Hieu kennenlernte, stemmte sie ihm zuliebe sogar den Wechsel des Praxispartners vom Demenzhaus der Diakonie in Saalburg-Eberdorf zum Awo-Pflegeheim in Königsee. Alle Ausbildungsmodule inklusive der Praktika in anderen Betrieben hat sie als erste geschafft und dabei sogar Hieu überholt, der eine Prüfung zurück liegt.

Doch es ist nicht nur dieser fleißige Ehrgeiz. Wer Steffi Schrimpf und Karina Mühmer zuhört, merkt bald, dass sie die jungen Frau weit mehr als nur als willkommene Verstärkung ins Herz geschlossen haben.

Und Tam erzählt beeindruckend sprachroutiniert, wie sie mit wenig mehr als einer Aussicht auf eine gute Anstellung nach Deutschland kam. „In Vietnam pflegen die Angehörigen die Alten, außer in großen Städten gibt es keine Pflegeheime." Was es in Deutschland alles über Pflege zu lernen gibt, hätte sie nie vermutet. Und ja, es habe auch Momente gegeben, da hätte sie am liebsten alles hingeworfen und wäre nach Hause geflogen. Immerhin, sie hat die alte Heimat seitdem nicht mehr wiedergesehen.

„Uns beeindruckt vieles an ihr“, sagt Steffi Schrimpf : Fleiß, Bescheidenheit, Belastbarkeit, Hilfsbereitschaft. Doch den wahren Schatz Empathie kann man erkennen, wenn sie mit den Alten zusammensitzt. Ursel Breternitz ist im Geiste schon öfter weit weg, doch wenn sie mit Tam einen Blick in die Zeitung wirft, leuchten ihre Augen.

Noch wohnt Tam mit ihrem Freund in Rudolstadt . Das nächste Projekt ist die Fahrschule, denn beim Schichtdienst fährt nicht immer ein Bus. Sie zögert bei der Frage, ob sie bald nach Königsee zieht und bekennt selbstbewusst: „Es ist ein bisschen langweilig in Deutschland. In Vietnam sind die Menschen überall abends draußen auf der Straße und begegnen einander, das gibt es doch hier sehr selten.“

 

 

Quelle: OTZ / 30.03.19

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