Report aus Rudolstadt: Mit 43 Jahren den ersten regulären Job

Nah dran: Sandra Hohenwald hat eine typische ABM-Karriere hinter sich - jetzt arbeitet sie als Platzwart, für 30 Euro mehr als mit Hartz IV

 

Rudolstadt. Für einen Tag ist sie so etwas wie ein Star. Alle reden gut über Sandra Hohenwald. Das war nicht immer so. Ohne sie könnte man die Sportanlage Schremsche am Nachmittag gar nicht öffnen, sagt der Bürgermeister. Wenn Motivation und Engagement da sind, klappt es auch mit dem ersten Arbeitsmarkt, sagt der Chef des Jobcenters, und will anderen Langzeitarbeitslosen damit Mut machen. Es hat einfach alles gepasst, sagt die Sachgebietsleiterin Sport der Stadtverwaltung.

 

Die zierliche Frau, um die es geht, steht verschämt daneben und hält sich lieber an einer Zigarette fest. Sie ist 43 und hat Ende Februar zum ersten Mal in ihrem Leben einen richtigen Arbeitsvertrag unterschrieben. Danach ist sie Hausmeisterin bei der AWO Rudolstadt, eingesetzt als Platzwartin auf der Kleinsportanlage Schremsche zwischen den Plattenbaustadtteilen Volkstedt-West und Schwarza-Nord. Vollzeit, 35 Stunden die Woche, befristet vorerst bis 2020. Die Personalkosten werden der AWO weitgehend durch die Stadt erstattet. Ein paar Monate steuert das Jobcenter einen Lohnkostenzuschuss bei.

 

Die von allen Seiten gelobte gute Zusammenarbeit der Behörden ist Sandra Hohenwald ziemlich egal. Für die Mutter eines 14-jährigen Sohnes ist es ein Glücksfall, dass sie nach einer langen Odyssee doch noch angekommen ist auf so etwas wie dem ersten Arbeitsmarkt. Davor war ziemlich viel schiefgegangen. Geboren und aufgewachsen in Rudolstadt, macht sie 1992 den Abschluss der zehnten Klasse an der Döbereiner-Schule. Sie beginnt eine Lehre als Kinderpflegerin, die sie abbricht („War nicht mein Ding“). Es folgt eine dreijährige, überbetriebliche Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau in Jena. Sie ist die einzige Frau, fühlt sich gemobbt, wird krank. Der Chef verweigert ihr wegen zu vieler Krankheitstage die Teilnahme an der Abschlussprüfung. Es ist der Beginn einer ABM-Karriere, wie es sie tausendfach gibt in den neuen Bundesländern.

 

Umschulung, arbeitslos, ABM, Umschulung, arbeitslos, Ein-Euro-Job. Die Mühle dreht sich. Sie wird zur Malerin und Lackiererin ausgebildet, später zur Metallbauerin. „Mit den ganzen Zertifikaten kann ich meine Wohnung tapezieren“, sagt sie. Genützt hat es nichts. 2004 wird ihr Sohn geboren, was ihre Vermittlungschancen nicht gerade erhöht. Alleinerziehend und ohne Führerschein, reihenweise winken die Arbeitgeber ab.

 

2015 bekommt sie einen Ein-Euro-Job bei der Landvolkbildung in Volkstedt-West. Sie arbeitet im grünen Bereich. Es ist das, was sie kann und gern macht. Die Arbeitsgelegenheit wird verlängert, dann wird sie in die Schremsche versetzt, wo viel Gras mit der Sense zu mähen ist. Zur Überraschung der Maßnahmeträger kann sie sogar Pflastern. Gemeinsam mit Frank Gräf, mit dem sie sich die Öffnungszeiten der Sportanlage teilt, ersetzt sie gerade die Teppichumrandung der Kunststoffplätze mit Pflaster.

 

Finanziell hat sich ihre Lage mit dem regulären Job nur unwesentlich gebessert. Sie habe jetzt im Monat gerade mal 30 Euro mehr zur Verfügung als zu Zeiten von Hartz IV, sagt Sandra Hohenwald. Früher hat der Staat Miete, Heizung, Schulessen und auf Antrag die Klassenfahrt bezahlt. Jetzt zahlt sie das alles aus eigener Tasche.

 

Kann sie verstehen, wenn Leute sagen, sie stehen nicht auf für 30 Euro mehr? „Ja“, sagt sie, aber sie könnte es nicht. „Den ganzen Tag zu Hause sitzen und Geld fürs Nichtstun kassieren...“ Sie lässt eine lange Pause und zeigt auf einen Wohnblock auf der anderen Seite. „Ich kenne ganz viele im Ghetto, die das so machen“. Was sie selbst anders machen würde, wenn sie die Zeit zurückdrehen könnte, will der Reporter wissen. Sandra Hohenwald lässt den Blick über das Schremschetal schweifen: „Mich mehr auf den Hosenboden setzen und lernen.“

 

Quelle: OTZ Thomas Spanier / 14.04.18

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